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08 Dezember


02.12.2008  
  Mein linkes Stimmband bewegt sich nicht mehr beim Sprechen. Deshalb klingt meine Stimme so morsch. Der zweite HNO-Arzt, der mich heute untersucht hat, war überglücklich, dass es kein Tumor oder sowas war. Er meinte, damit könne ich noch 150 Jahre alt werden. Filme machen kann ich auf jeden Fall weiterhin. Auch wenn ich nicht mehr am Set rumschreien kann. Aber das tue ich sowieso nicht.
Ich bin auf jeden Fall sofort auf meinen Bauernhof geflohen.
03.12.2008   Das Filmprojekt "REISE NACH ITALIEN" ist heute gestorben. Draußen schneit es wie verrückt. Ich plane ab Mitte Februar 2009 ein neues Drehbuch zu schreiben - so wie bisher live auf dieser Website - und, wenn alles gut geht, mit meiner Stimme und mit der Finanzierung, den Film dann ab Mai 2009 zu drehen: Wenn dieser neue Film fertig ist, bin ich 70 und kann nochmal daran denken, mit dem Drehen von Filmen aufzuhören (aber das habe ich vor "PINK" auch schon gedacht).
04.12.2008  
Den ganzen frühen Morgen verbringe ich im Internet und versuche mehr über mein kaputtgegangenes Stimmband herauszufinden. Jetzt weiß ich mehr. Nicht das Stimmband ist kaputt, sondern der Nerv (Nervus Laryngeus recurrens). Das erschüttert mich beträchtlich, besonders wenn ich da so lese, was dagegen getan werden kann.
Beim Spazierengehen im Wald tue ich zum ersten Mal im Leben das, was Hannelore Elsner in "DU HAST GESAGT, DASS DU MICH LIEBST" tut: Ich rufe laut "Könnt ihr mir helfen, ihr Bäume?" Bei mir antworten die Bäume leider nicht. Aber dafür finde ich einen Pfifferling, der sich in der Jahreszeit geirrt hat.
Beim Nachdenken, was mir sonst noch helfen könnte, kommt mir die Gedanke, eine Einladung in den Wettbewerb der Berlinale für "PINK" würde diesen Nervus Laryngeus recurrens bestimmt anspornen, wenigstens wieder halbwegs normal zu funktionieren.
05.12.2008   Ich mache ein besonders großes Feuer, um die Götter gnädig zu stimmen: für meinen Stimmbandnerv und für alles, was "PINK" gut tut. Dann gehe zusätzlich zwei Stunden im Wald spazieren: gesunde Waldluft einatmen. Vielleicht hilft's!
07.12.2008   Mit zitternden Händen mache ich heute eine email der Berlinale auf. Sie haben umsonst gezittert: es ist nur die Bestätigung meiner Akkreditierung. Und ich dachte schon, das Feuer hat sofort gewirkt.
Am ersten Weihnachtstag läuft um 4.30 Uhr auf 3SAT "DAS GEHEIMNIS". Da kommt Marquard Bohm mit einem riesigen Holzkreuz an ein abgelegnes Bauernhaus und sagt, dass er Jesus Christus sei.
Ich lese mir nochmal die Kritiken aus der Frankfurter Rundschau, dem Tagesspiegel und epd-Film durch und bin erstaunt darüber, wie gut "DAS GEHEIMNIS" bei der Kritik angekommen ist.
08.12.2008   Das Ergebnis der Computertomographie heute: Herz und Lunge (trotz fünfzig Jahre Rauchen) sind ok. Ich freue mich auf künftige Filme.
09.12.2008   Mein HNO-Arzt hat mir heute sehr nachdrücklich klar gemacht, dass er wegen meiner seit 3 Monaten kratzigen Stimme davon ausgegangen ist, dass ich einen Tumor in der Lunge habe. Er war extrem glücklich über das Resultat der Computertomographie und hat mir dazu gratuliert.
Da ich selbst keine wirkliche Ahnung von der Gefahr hatte, in der ich bis gestern schwebte, war ich heute richtig großzügig und habe dem Deutschen Filminstitut in Frankfurt, die von meinem ersten Kurzfilm "DIE VERSÖHNUNG" bis "LIEBE AUF DEN ERSTEN BLICK" Kopien aller meiner Filme gekauft haben, heute Kopien von "DAS MIKROSKOP", "DER PHILOSOPH" und "SIEBEN FRAUEN" geschenkt.
11.12.2008   Heute wird Manoel de Oliveira 100 Jahre alt. Alle Zeitungen gratulieren. Sein nächster Film soll „Besonderheiten eines blonden Mädchens“ heißen, schreibt die FAZ.
12.12.2008   Gestern war es hier trübe und neblig. Ein richtiges Selbstmordwetter. Aber heute Nacht hat es geschneit und ich habe von einem großen Fest geträumt. Es war ein sehr schöner Traum.. Ob das Fest ein Filmfestival war, kann ich leider nicht sagen. Nach einem einstündigen Waldspaziergang mit Stimmübungen, die mir meine Logopädin aufgetragen hat, hört sich auch meine Stimme etwas besser an.

In der neuen "black box" (das ist ein Branchen-Informationsdienst) lese ich gerade, dass mein Film "TAROT" - als DVD - von der Filmbewertungsstelle das Prädikat "Besonders Wertvoll" und "DAS GEHEIMNIS" immerhin noch das Prädikat "Wertvoll" bekommen haben. Beim Kinostart bekamen beide Filme nur "Wertvoll".
    Die Begründung der FBW für das "Besonders Wertvoll":

FBW-Gutachten
"Der Puls muss schneller schlagen. Und wenn man aus dem Kino kommt, muss man eleganter und selbstsicherer durch die Straßen gehen als vorher.“ - Diesen Wunsch hat Rudolf Thome sich selbst und seinem Publikum bereits 1986 mit seinem Film Tarot erfüllt. Heute, nach mehr als 20 Jahren, hat Tarot nichts an Aktualität eingebüßt - im Gegenteil. Es ist "wieder ein Teil untergehender Zeit für die Zukunft in treuer, ausführlicher Darstellung aufgespeichert worden“. So schrieb einst Achim von Armin über Johann Wolfgang von Goethes Roman Wahlverwandtschaften (1809).
Und so sollte man auch den Mitte der 1980er Jahre entstandenen Film Tarot sehen: Es ist eine ausgezeichnete, hochaktuelle Lesart von Goethes Wahlverwandtschaften, die gleichzeitig dem heutigen Zuschauer ein Sittengemälde der 1980er Jahre bietet, das verbunden mit den Erfahrungen der heutigen Lebenswelt erstaunliche Erlebnisse und Erkenntnisse liefert. Dieses gelingt, weil Thome in seinem Film immer wieder Lücken lässt, die der Zuschauer mit seiner Phantasie und seinen Gefühlen füllt.
Die Schauspielerin Charlotte, ihr Bald-Ehemann Eduard, ihre Nichte Ottilie und Eduards Freund Otto finden sich in einem wunderschönen Landhaus am Fluss, um ihre unterschiedlichsten Lebenssituationen zu meistern. Sie streben einem alle einbeziehenden Konflikt entgegen und versuchen gleichzeitig, ihm zu entrinnen. Träume entstehen und zerrinnen. Liebe und Tod sind die Begleiter.
Dank der ausgezeichneten Darsteller, einem stimmigen Soundtrack und einer behutsamen Kamera wird die Hektik der Außenwelt nur mittelbar spürbar, so dass sich die Geschehnisse wie ein Schicksal um die Personen ranken und mit einer geradezu unverschämten Selbstverständlichkeit daherkommen.
In regelmäßiger Wiederkehr erscheint das Bild des fließenden Wassers vor dem Haus und Otto liest zum x-ten Mal Honoré de Balzacs Verlorene Illusionen. Bilder, die den Zuschauer immer wieder auffordern, seiner Phantasie freien Lauf zu lassen. Bilder, die nach einem hervorragenden Drehbuch auf eine Weise in Szene gesetzt wurden, die für jeden Deutschlehrer Goethes Wahlverwandtschaften noch nach 200 Jahren zum Bestseller werden lassen könnten.
Das, was Tarot von Rudolf Thome jedoch so besonders wertvoll macht, ist, dass jede Einzelheit und die ganze Welt in seinen Bildern ist. Es muss nichts erklärt werden; es ist alles zu sehen."
13.12.2008   Die Berlinale veröffentlicht heute die Titel von 10 Filmen, die im Wettbewerb laufen. Ich laufe danach durch meinen Wald. Ein beschwerlicher Weg.

Dann finde ich meine Spuren von gestern im übrig gebliebenen Schnee.
14.12.2008   Während ich zum Warten gezwungen bin, finde ich eine Kritik zu "SUPERGIRL", der letztes Jahr im Arsenal lief, im Internet:
FRIDAY, MAY 11, 2007
Supergirl - Das Mädchen von den Sternen, Rudolf Thome, 1971
Die im Kino Arsenal aushängende zeitgenössische Kritik ist zwar über weite Strecken wohlwollend, endet aber doch in der Anklage, dass Thome sich via Supergirl in den von ihm geschätzten Film- und Comic-Klischees (tatsächlich scheint der Film äußerst lose auf der DC-Figur zu basieren - 13 Jahre vor dem Helen-Slater Streifen) häuslich einrichte, anstatt aus diesen, ordnungs- und fassbindergemäß, durch künsterisches Neuarrangement irgendetwas Neues, Produktives, Progressives whatever zu erschaffen.
Mir hat der Film gefallen, und zwar im Großen und Ganzen aus denselben Gründen. Thomes Weigerung, die Genreversatzstücke aus Gangster- und Science-Fictionfilmen sowie aus der Pulpliteratur mit auch nur irgendetwas außerhalb ihrer eigenen Logik zu konfrontieren, führt zu einem wunderbar delirierenden Werk, einem Film, der gerade durch die natürlich nur scheinbare Ambitionsarmut zu einem in höchstem Maße persönlichen Autorenfilm wird, in dem Sinne, dass Supergirl wie fast alle Thome-Filme (soweit ich sie kenne, natürlich, sein Werk ist traurigerweise immer noch äußerst schwer verfügbar, zu hoffen bleibt, dass hier baldmöglichst ähnliche Schritte eingeleitet werden wie derzeit bei Lemke via DVD-Editionen) die Obsessionen des Regisseurs mitsamt der in sie eingeschriebenen Weltsicht so unverfälscht, so ohne jede strukturelle Überformung durch ihnen fremde Diskurse, transportiert, wie dies im herkömmlichen, auf den ersten Blick ambitionierteren Autorenfilm kaum möglich ist.
Vielleicht ist der Reiz des Filmes auch teilweise dadurch erklärbar, dass zwischen ihm und mir 36 Jahre Filmgeschichte liegen, in denen hunderte von Regisseuren mit Film- und Stilzitaten alles mögliche unternommen haben, nur nicht den Versuch, sie einfach in all ihrer Schönheit und Naivität zu belassen. Vor allem jedoch macht der Film ein weiteres Mal bewusst, was für großartige Möglichkeiten das deutsche Kino Ende der 60er / Anfang der 70er auch außerhalb des engeren Zirkels des Neuen Deutschen Films besaß. Und gleichzeitig leider, wie wenig Einfluss die Thome / Lemke Linie (zu der ich - als Außenseiter unter den Außenseitern gewissermaßen - auch gerne Roland Klick rechnen würde) im deutschen Kino bis zum heutigen Tag besitzt. Die Freiheit und Imaginationskraft, die selbst aus diesem - im Vergleich zu anderen Werken Lemkes oder Thomes wahrscheinlich doch eher kleineren - Werk spricht, sucht man heutzutage hierzulande immer noch vergebens.
Thomes Erlösungsfantasien bleiben stets auf der persönlichen Ebene und leugnen radikal jeglichen Anspruch auf kollektive Geltung. Gerade dann, wenn ihnen eine politische Perspektive eingeschrieben zu sein scheint (zB in Rote Sonne), wird diese von der Inszenierung radikal negiert. In Supergirl wird gar, glaubt man der Diegese, das Schicksal der gesamten Menschheit verhandelt. Selbstverständlich geht es eigentlich trotzdem wieder nur um das leicht verschrobene, aber, wie stets bei Thome, nur scheinbar von allen Normen befreite Liebesleben einiger Großstädter, die eine Utopie verfolgen, von der sie nur wissen, dass sie sich an einem anderen Ort als an ihrem eigenen befinden muss.
Und schließlich ist Thome der wahrscheinlich einzige Regisseur, dem es jemals gelungen ist, Deutschland (und sogar die Deutschen!) cool aussehen zu lassen. Natürlich nicht irgendwelche Deutschen, sondern Marquard Bohm und Iris Berben. Aber immerhin.
POSTED BY LUKAS FOERSTER in "Dirty Laundry"
18.12.2008   Keine Neuigkeiten von der Berlinale. Dafür Neuigkeiten vom Dorfteich. Zwei Biber sind eingewandert.

19.12.2008  

Einen Tag später bei Tageslicht. Der Biber im frischen Schnee.

20.12.2008   Ich werde darauf hingewiesen, dass der Biber im Dorfteich gar kein Biber, sondern eine Biberratte ist. Aus den Fellen dieser Tiere hat man früher Pelzmäntel gemacht.
22.12.2008   Ich bin wieder in Berlin und sehe die DVD´s von "TAROT" und "DAS GEHEIMNIS", die mir Kinowelt als Vorabexemplare geschickt hat. "TAROT" wurde vom Negativ neu abgetastet und hat wunderbare Farben. Der Kameramann Martin Schäfer würde sich darüber freuen, wenn er noch lebte. Meine Stimme beim Interview ist rauh und klingt manchmal regelrecht zersplittert. Ich bin wild entschlossen, sie zu trainieren, damit die Interviews zu den nächsten drei Filmen sich wieder besser anhören.
23.12.2008   Am 3. 12. schrieb ich im Moana-Tagebuch, dass das Filmprojekt "REISE NACH ITALIEN" gestorben ist. Heute erfahre ich, dass auch die Produktionsfirma des Films gestorben ist. Sie hat am 3. 12. Insolvenz angemeldet. Es tut mir leid um alle Leute, die sich dafür engagiert haben.

Ich wünsche allen Lesern des Moana-Tagebuchs ein fröhliches Weihnachtsfest und viele wunderbare Geschenke. Vielleicht kriege ich selbst ja auch noch eins für "PINK". Es wäre einfach zu schön!
25.12.2008   Weihnachten 2008 war gut: meine Kinder haben mir schöne Sachen geschenkt und sie haben schöne Sachen gekriegt. Jetzt bin ich wieder auf dem Bauernhof. Der Pseudo-Biber ist immer noch da und frisst Gras. Morgen kriegt er von mir ein paar Möhren. "DAS GEHEIMNIS", dass seit Wochen auf 3SAT angekündigt war, läuft nun leider doch nicht.
26.12.2008  




Es hat funktioniert. Die Biberratte frisst meine Möhren. Die Berlinale macht Ferien. Mein Internetanschluss funktioniert nur ruckelig.
27.12.2008   Zwei Tage Frost haben alle Pfützen auf meinem Waldweg in märchenhafte Eisgebilde verwandelt.
Vielleint bin ich das: Ich warte auf die Entscheidung der Berlinale, bin schon halb zu Eis erstarrt und zappele verweifelt, bevor ich in 322 Tagen siebzig Jahre alt geworden bin.
28.12.2008   Das Nichtfunktionieren meiner DSL-Verbindung löst eine große Aufräumaktion in meinem Arbeitszimmer aus. Dabei entdecke ich diese Fotos von meiner Pressekonferenz während der Berlinale 2000, die ein Freund vor dem Festivalpalast gemacht hat: Da ging's um "PARADISO - SIEBEN TAGE MIT SIEBEN FRAUEN" und ich erinnere mich, dass eine Journalistin gesagt hat, der Film sei frauenfeindlich. (Sollte "PINK" dort laufen, wird mir vielleicht jemand sagen, "PINK" sei männerfeindlich? - denn "PINK" könnte ja auch heißen "PINK - DREI MÄNNER IN SECHS MONATEN")
Mein Gott, ich kann jeden Tag immer nur von morgens bis abends an die Berlinale denken.


29.12.2008   Mein Sohn Nicolai besucht mich mit seiner Freundin auf dem Bauernhof. Ich koche Auflauf für die beiden. Er fotografiert die Biberratte (die in etwa zehn Minuten eine große Möhre auffrisst! und danach auf dem Eis spazieren geht) und mich.




31.12.2008
 

Ich wünsche allen Moana-Tagebuchlesern ein 2009

voller Märchen und Wunder.



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